Hariri-Mord

Rache und Rechtsstaat im Libanon

Von Markus Bickel

14. Februar 2009  Den Glückwünschen folgte prompt die Drohung: Hatte Hassan Nasrallah der Hamas während des Gaza-Krieges noch zu ihrem „Sieg“ gegen Israel gratuliert, beschwor er Ende Januar abermals den Kriegszustand. „Die Israelis leben in Angst vor unserer Rache“, sagte der Generalsekretär der libanesischen Hizbullah bei einem Fernsehauftritt, knapp ein Jahr nach dem Attentat auf den Hizbullah-Militärchef Imad Mugnijeh in Damaskus. „Der Beschluss, auf die Ermordung zu reagieren, besteht weiter. Wir entscheiden über Zeit und Ort.“

Israelische Sicherheitsbehörden warnten Anfang Februar ebenfalls vor Racheakten der „Partei Gottes“. Schon unmittelbar nach dem Attentat auf Mugnijeh am 12. Februar 2008 war in Israel mit einer Reaktion der Hizubullah gerechnet worden. Die Entführung des israelischen Geschäftsmannes Elhanan Tannenbaum im Jahr 2000 in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde ebenso als warnendes Beispiel angeführt wie die Mugnijeh angelasteten Anschläge auf israelische und jüdische Einrichtungen in Argentinien in den neunziger Jahren.

Alarmstufe Rot als Dauerzustand

Alarmstufe Rot als Dauerzustand und Existenzberechtigung der Hizbullah zugleich - der Kontrast zum Bestreben der libanesischen Parlamentsmehrheit, nicht gewaltsam, sondern rechtlich auf politische Attentate zu reagieren, könnte kaum deutlicher ausfallen. Denn während Nasrallah nach Israels Krieg gegen die von Khaled Meschal geführte Hamas um seinen Ruf als militanter Wortführer in Nahost bangt, sehen die Repräsentanten des so genannten „14. März“-Bündnis um Ministerpräsident Fuad Siniora mit Freuden der Eröffnung des Sondertribunals für den Libanon (STL) am 1. März in Den Haag entgegen.

Das Gericht soll den Mord am langjährigen Ministerpräsidenten Rafiq al Hariri aufklären - gut vier Jahre nach dem Autobombenanschlag auf „Mr. Lebanon“ am Valentinstag 2005. Bis zum Schluss hatte die Nasrallah-Organisation die Verabschiedung des Tribunals durch das libanesische Parlament zu verhindern versucht. Auch das Regime von Syriens Präsident Baschar al-Assad, das im Verdacht steht, für den Mord verantwortlich zu sein, versuchte die Einrichtung zu blockieren. Letzlich vergebens: Im Mai 2007 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Schaffung des Tribunals.

 

Mit Böllerschüssen feierten die Anhänger von Hariris Sohn Saad rund um die Residenz des Mehrheitsführers im Parlament die Entscheidung, am Morgen danach wurde die Anschlagsstelle an Beiruts Uferpromenade wieder für den Verkehr geöffnet. Die Hoffnung, dass nach dem Abzug der letzten syrischen Truppen aus dem Libanon im April 2005 nun auch die mutmaßlichen Verantwortlichen in Damaskus rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden würden, lebte wieder auf.

Zwanzig politische Attentate

Mehr als zwei Jahre lang hatte die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (Uniiic) den Tatort abriegeln lassen, um die Verwischung weiterer Spuren wie zu Beginn des Aufklärungsprozesses zu verhindern. Nach dem Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, der die erste Phase der Untersuchungen leitete, ordnete dessen belgischer Nachfolger Serge Brammertz im Frühjahr 2006 eine abermalige Inspektion des bald nach dem Anschlag zugeschütteten Kraters an. Der dritte Uniiic-Chef Daniel Bellemare hingegen beschränkte sich vor allem auf die Auswertung von Zeugenaussagen.

Am 1. März tritt der Kanadier das Amt des Anklägers am Libanon-Tribunal in Den Haag offiziell an. Elf Richter, darunter vier Libanesen, sollen dort den Mord an Hariri und zwanzig weitere politische Attentate aufhellen helfen, die die Zedernrepublik seit dem Anschlag auf den damaligen Telekommunikationsminister Marwan Hamadeh im Oktober 2004 erschütterten.

Inwieweit das Tribunal tatsächlich zur Aufklärung der Anschlagsserie im Libanon beitragen kann, steht freilich in den Sternen. Kritiker halten dem Gericht vor, ein „Tribunal ohne Angeklagte“ zu sein: Aus Sorge, das syrische Regime zu verprellen, würde eine Anklage hochrangiger syrischer Sicherheitsbeamter, die noch in den von Mehlis vorgelegten Untersuchungsberichten der Attentate auf Hamade und Tueni bezichtigt wurden, immer weiter hinausgeschoben. Brammertz und Bellemare hatten in ihren Reports auf die Nennung von Verdächtigen verzichtet - und den syrischen Behörden eine „insgesamt zufrieden stellende Zusammenarbeit“ attestiert.

Befürchtungen vor „Lockerbie“-Szenario

Auch der Verdacht, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy habe bei seinen Treffen mit Assad in Paris und Damaskus 2008 eine Übereinkunft erzielt, die hochrangigen syrischen Offiziellen Straffreiheit im Gegenzug für Kooperation zusichert, ist nicht aus der Welt. „Ich verstehe diese Zweifel“, sagte Sarkozy am Mittwoch in Kuwait. Assad hält das Tribunal bis heute für ein politisches Instrument, um die von George Bush und Jacques Chirac 2004 initiierte Isolation seines Landes aufrecht zu erhalten. Eine Aufgabe syrischer Souveränität an das Gericht lehnt er ab; sollten syrische Staatsangehörige zu den Tätern gehören, würden diese in Syrien verurteilt.

Doch das ist eher unwahrscheinlich. Schon im Oktober 2005 war der damalige syrische Innenminister Ghazi Kanaan tot in seinem Büro aufgefunden worden. Von „Selbstmord“ sprachen syrische Offizielle, Regimekritiker hingegen wiesen auf Kanaans Rolle als Zeuge der Mehlis-Kommission hin, der die syrischen Verstrickungen in die Anschlagsserie im Libanon hätte belegen können. Und auch der Mord an Mohammed Suleiman im August 2008 könnte im Zusammenhang mit Vertuschungsversuchen Assads stehen: Der nationale Sicherheitsberater des Präsidenten war unter anderem für die Zusammenarbeit mit der UN-Untersuchungskommission zuständig.

Einen Ausweg für Assad sehen politische Beobachter daher nur in einem so genannten „Lockerbie-Szenario“: Wie Lybiens Muammar Gadaffi mehr als zehn Jahre nach dem Anschlag auf den Pan Am-Flug 103 über dem schottischen Lockerbie 1988 müsste er sich bereit erklären, syrische Verdächtige nach Den Haag zu schicken - gegen die Versicherung, dass damit nicht Syrien, sondern individuelle Verantwortliche verurteilt würden. Ein Erfolg für die internationale Justiz freilich wäre ein solcher Deal nicht.

Text: FAZ.NET

Bildmaterial: AFP

Retour